Die Tiny-Start-up-Bewegung

Mehr Gestaltungsfreiheit, Selbstbestimmung und Entwicklungsmöglichkeiten. Mehr Positives bewirken und Ideen ausprobieren. Mit Leidenschaft ausüben, wozu man berufen ist. Das sind keine Träume, sondern Antworten von Tiny-Start-up-Gründer:innen. Ein Beitrag von Prof. Veronika Bellone.

Kleinst- und Kleinunternehmen bilden eine überwältigende Mehrheit in der Wirtschaft. Allein in der Schweiz beträgt deren Anteil, gemessen an der Gesamtzahl an Unternehmen, gut 99% (laut bfs.admin.ch), in Deutschland 96,8% (destatis.de) und in Österreich 98% (bmdw.gv.at). Aber es ist nicht nur die Menge, sondern die Vielfalt und Innovationskraft, die diese Bewegung spannend macht. Ihr Angebot reicht von nachhaltigen Allzweckreinigern, über Fruchtaufstriche aus der Tube oder vegane Instantsuppen, bis hin zum lebensmittelrettenden Handel oder zu nachhaltigen Kleinst-Farmen. Die Ideen orientieren sich an gesellschaftlichen Herausforderungen und werden zeitgeistig auf echte Kundenbedürfnisse zugeschnitten. Oft fügen sie Vorhandenes neu zusammen oder optimieren Bestehendes und übertragen den Nutzen in die nachhaltige oder digitale Welt. 

Vom Tiny House zum Tiny Start-up

Wegbereiter der Tiny-Bewegung sind «Tiny Houses». Die Idee, auf kleinstem Raum selbstbestimmt und autark das Leben nach eigenen Vorstellungen zu leben, kommt aus den USA. Mittlerweile hat sie sich weiterentwickelt und weltweit verbreitet. Angebote reichen heute, ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft, von gebrauchten und wieder dem Nutzungskreislauf zugeführten Schiffscontainern, bis zum massgeschneiderten energie-effizienten Tiny House im minimalistischen Design. Die Anbieter selbst sind Kleinst- oder Kleinunternehmen. So arbeitet das Stuttgarter Gründungsduo von «TechTinyHouse» mit einem Angestellten. Alles, was über die Entwicklung, Konstruktion und Planung der Hightech-Kleinsthäuser hinausgeht, wie Metall- und Holzbau sowie Gebäudehülle und Installationen, übernehmen komplementäre Partner, die meist Kleinstfirmen sind. Daraus entstehen Privathäuser, Mini-Büros, Herbergen oder Coiffeursalons, wie das

«Tiny Hairhouse» im Kanton Zug.

Tiny Start-ups passen sich an

Kleinunternehmertum ist in verschiedensten Lebenssituationen realisierbar. So parallel zum Studium. Das Berliner Franchisesystem «Fitbox» setzt darauf und spricht Studierende direkt an. Auch die Tiny-Startupper:innen vom Schweizer Glühweinwerk sind Studierende: «Wir erleben das Unternehmertum «first hand» und können Innovationskraft beweisen. Natürlich ist unser Start-up neben dem Studium auch Einkunftsquelle.»

 

Das Gluehweinwerk.ch-Team in Bali © Gluehweinwerk.ch KGL
Das Gluehweinwerk.ch-Team in Bali © Gluehweinwerk.ch KGL

Für andere ist es ein optimales Modell, um Familie und Beruf zu vereinen, wie für die «Stadtlandkind»-Gründer, die mit ihrem Schweizer Online Concept Store punkten: «Als Eltern von drei Kindern ist freie Zeiteinteilung mehr wert als ein Spitzenlohn. Wir sind flexibel und können von überall auf der Welt arbeiten», so Roberta und Tobias Zingg.

 

Stadtlandkind Family 2020 © Photo: Stadtlandkind GmbH
Stadtlandkind Family 2020 © Photo: Stadtlandkind GmbH

Auch die spätere Lebensphase, zum Beispiel nach der Pensionierung, kann eine gute Startzeit sein. Elke Jensen hat so ihren «CityCaddy» erfunden, der ein Shopper, Trolley und eine moderne Gehhilfe in einem ist. In Hamburg gründete die 71-Jährige dafür ihre «CityCaddy UG». Eine Finanzhilfe von der Bank wurde ihr verwehrt, aber mit einem Darlehen über Family & Friends konnte sie ihre zeitgemässe Geschäftsidee verwirklichen. Der Anteil an älteren Gründer:innen steigt, u.a. weil sie endlich das verwirklichen wollen, was lange schlummern musste. 

Für mehr Ästhetik im Nützlichen © CityCaddy / Enver Hirsch
Für mehr Ästhetik im Nützlichen © CityCaddy / Enver Hirsch

Tiny Impact Start-ups

Dominic Ziegler, Gründer Arbofino AG © Bellone Franchise Consulting GmbH
Dominic Ziegler, Gründer Arbofino AG © Bellone Franchise Consulting GmbH

Kleine Unternehmen können Grosses bewirken – das zeigt die Arbofino AG aus Männedorf. Das Familienunternehmen wurde 2014 vom Ecopreneur Dominic Ziegler gegründet. Arbofino bietet mit der Anpflanzung von Teakbäumen in Ecuador und parallel verlaufender Naturwaldaufforstung Impact Investments an. So wurden bis heute mit 52 lokalen Mitarbeitenden bereits an die 30 000 Bäume gepflanzt und über 124 Hektar Naturschutzgebiet eingerichtet. Bleiben wir bei CO2-Speichern, genauer beim Bambus. In China werden daraus jedes Jahr ca. 80 Mio. Essstäbchen produziert und ca. 9.000 km zu uns geflogen, bevor sie nach Einmalgebrauch im Müll landen. Das hat 2016 die Gründer des kanadischen Environmental Impact Start-ups «Chop Value» auf eine spannende Idee gebracht. Das heute B-zertifizierte Start-up sammelt sie in Restaurants ein, reinigt, desinfiziert und zerkleinert sie und fertigt aus der Holzmasse in einem ökofreundlichen, mechanischen Verfahren Holzfliesen, die sie zu nachhaltigen Artikeln für zu Hause weiterverarbeitet. Bisher hat das Start-up über 55 Mio. Essstäbchen recycled, 32 Millionen Holzfliesen daraus hergestellt und damit 76,764.54 kg CO2 eingespart. Chop Value expandiert per Franchising in Asien, Kanada, Mexiko und Europa, wo Franchisepartnerinnen Mikrofabriken für die Produktionsvorgänge errichten.

Résumé

Tiny Start-ups sind so individuell wie der Gesamtmarkt. Sie unterscheiden sich in ihren Gründungsmotivationen, Zielen, Business-Konzepten sowie in ihrer Unternehmensführung und ihrem Erfolg. Sie sind ein riesiges Experimentierlabor, das neue Trends schnell ausprobiert und auf Marktkompatibilität testet. Sie sind wertvolle innovative Treiberinnen für nachhaltige Entwicklungen und unverzichtbar für unsere Wirtschaft. 

Tiny-Start-up-Tipp

«Glücklich mit Tiny Start-ups» und «Es ist nie zu spät, sich selbstständig zu machen» © Bellone Franchise Consulting GmbH
«Glücklich mit Tiny Start-ups» und «Es ist nie zu spät, sich selbstständig zu machen» © Bellone Franchise Consulting GmbH

Mehr über Motive, Besonderheiten und individuelle Gründungswege von Tiny Start-ups, verbunden mit Ratschlägen und Werkzeugen, erfährt man in den Büchern «Glücklich mit Tiny Start-ups» und «Es ist nie zu spät, sich selbstständig zu machen», Veronika Bellone & Thomas Matla, Redline Verlag, München.

Definition Unternehmensgrössen

Mikrounternehmen: bis zu drei Mitarbeitende

Kleinstunternehmen: bis zu neun Mitarbeitende und Umsatz- erlöse unter 2 Mio. Euro pro Jahr

Kleinunternehmen: bis zu 49 Mitarbeitende und Umsatz- erlöse unter 10 Mio. Euro pro Jahr 

Zur Autorin

Prof. Veronika Bellone © Bellone Franchise Consulting GmbH
Prof. Veronika Bellone © Bellone Franchise Consulting GmbH

Prof. Veronika Bellone ist seit 1986 im Franchise-Business tätig. 1991 gründete sie ihre eigene Franchise-Beratung. Sie ist Professorin an der FHNW mit Fachbereich Marketing und Entrepreneurship sowie an der Hochschule Luzern mit dem Thema Franchising im CAS Dienstleistungsmarketing. Zusammen mit Thomas Matla schreibt sie Fach- und Sachbücher.

Der Artikel von Prof. Veronika Bellone erschien zuerst in der Fachzeitschrift «m&k/Das Magazin für Marketing und Kommunikation» Nr. 5/2022.

 

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Die Tiny-Start-up-Bewegung
Ein Artikel von Prof. Veronika Bellone für die Fachzeitschrift «m&k/Das Magazin für Marketing und Kommunikation» Nr. 5/2022
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